Lärm in Bildungsstätten

H.-G. Schönwälder, J. Berndt, F. Ströver, G. Tiesler

 

Zusammenfassung

 

1. Geräuschsituation in Bildungsstätten

 

In Bildungsstätten lehren und lernen Menschen. Dadurch entstehen Geräusche, die belästigen, stören und als Lärm empfunden werden. Dies wird von ca. 80% der dort, z.B. in Schulen Lehrenden als wichtiger Belastungsfaktor angegeben . Das von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Deutschland, geförderte Pro-jekt "Lärm in Bildungsstätten – Ursachen und Minderung" ist diesem Problem nach-gegangen und hat neben einer Bestandsaufnahme der realen Geräusch-Situation Möglichkeiten untersucht, wie diesem Belastungsfaktor begegnet werden kann. Bil-dungsstätten werden hier exemplarisch vertreten durch einige Regelschulen (4 Grundschulen und 1 Schule der Sekundarstufe I des öffentlichen Schulsystems), durch deren Lehrpersonal, das hier durch Lehrerinnen und Lehrer verkörpert wird, und durch Schülerinnen und Schüler im Alter von ca. 6 – 16 Jahren. Auch die Räu-me, in denen Bildungs- oder Ausbildungsprozesse stattfinden, und ihre akustischen Merkmale spielen für die Geräuschentwicklung eine Rolle. In allen diesen Schulen wurden exemplarisch in einigen Klassenräumen (N=30) die raumakustischen Merk-male (Nachhallzeiten, Sprachverständlichkeitsindex) überprüft. Ferner wurden in ins-gesamt 565 Unterrichtsstunden des 1. bis 10. Schuljahres alle geräuschwirksamen Ereignisse durch je 2 Beobachterinnen oder Beobachter registriert; gleichzeitig wur-de die Intensität der dort im Lehr-Lern-Prozess entstehendender Geräusche mit Schallpegel-Messgeräten kontinuierlich aufgezeichnet.

 

Lärm, der in Bildungsinstitutionen entsteht, erreicht nur selten die hohe Intensität, die bei langjähriger Exposition zu einem Hörschaden führen kann. Ein Beurteilungspegel – der mittlere Geräuschpegel während der Arbeitszeit – von 85 dB(A) und darüber konnte im Rahmen unserer Untersuchungen nicht nachgewiesen werden, obwohl Befunde aus Holz- und Metallwerkstätten in berufsbildenden Einrichtungen darauf hindeuten, dass selbst solche Intensitäten gelegentlich in Bildungsstätten vorkom-men; sie sind aber nicht die Regel. Es ist eher der „Lärm mittlerer Intensität“, der in der Arbeitssituation von Lehrerinnen und Lehrern als Störung empfunden wird und als Belastung zu klassifizieren ist. Sie tragen zum Belastungsspektrum der in Bil-dungsinstitutionen tätigen Menschen bei und behindern sie bei der optimalen Erfül-lung ihrer Aufgaben.

 

In Schulen wurden in dieser Studie während des Unterrichts durchschnittliche Schallpegel zwischen 60 und 85 dB(A) gemessen, wie in Abb. 1 am Beispiel eines Tagesprofils gezeigt wird. Das sind Schallpegel, die z.T. um ein Mehrfaches die Schallintensitäten übersteigen, die von der Arbeitswissenschaft für Tätigkeiten mit in-formatorischer Arbeit, also z.B. für Bürotätigkeiten, empfohlen werden. SUST UND LAZARUS (1997) fordern allerdings, dass in Räumen für Bildungszwecke Grund-schallpegel (um 30 – 45 dB(A)) und Nachhallzeiten (um 0,4 sec) noch deutlich nied-riger liegen müssen, als sonst für geistige Tätigkeiten empfohlen wird. Ausschlagge-bend dafür ist der Umstand, dass sich Bildungsprozesse häufig in der Hauptsache auf das Medium der verbal-auditiven Kommunikation, auf Sprechen (Informieren und Erklären), Hören (Verstehen und Verarbeiten) stützen. Es ist dieses Medium, das durch Störgeräusche besonders beeinträchtigt oder teilweise wirkungslos wird.

 

Abb. 1: Tagesprofil des Schallpegels in einer 1. Klasse
Abb. 1: Tagesprofil des Schallpegels in einer 1. Klasse

Eine fehlerfreie Informationsübertragung setzt optimale raumakustische Bedingun-gen voraus; sie sind beurteilbar anhand der Nachhallzeit von Schallsignalen und an-hand der Sprachverständlichkeit ge¬sprochener Texte, errechnet als Sprachverständ-lichkeits-Index (STI). Eine mangelhafte Raumakustik führt schnell zu einem Anstieg des Geräuschpegels durch ungenügende Absorption von Störgeräuschen und durch den unvollkommenen "contraproduktiven" Versuch, Verständnisfehler durch Anheben der Stimme zu vermeiden.

 

Die Folge sind fehlerhafte Kommunikation, Störung kognitiver Prozesse, erhöhte Sprechanstrengung, gesteigertes Belastungsempfinden und damit letztlich überflüs-sige Erschöpfung. Lehr- und Lernresultate werden beeinträchtigt. Mangelhafte Raumakustik wurde in der Mehrzahl der 30 überprüften Klassenräume von 5 Schulen in Bremen und Nordrhein-Westfalen angetroffen.

 

Die Beobachtungen der vorliegenden Studie zeigen eine deutliche Altersabhängig-keit der Intensität von Geräuschen im Unterricht innerhalb der untersuchten Alters-spanne von 6 bis 16 Jahren: Jüngere Jahrgänge sind lauter als die älteren. Für die Gruppe der Jugendlichen ist davon auszugehen, dass die Aufmerksamkeit bereits stärker auf den Lernprozess gerichtet ist als z.B. bei Schulanfängern, bei denen ein Teil der Energie (auch der stimmlichen Energie) auf die soziale Durchsetzung in der Lerngruppe (Hackordnung) verwendet wird. Die Auswirkungen des Sozialverhaltens von Schülerinnen und Schülern und des so oder anders mitverursachten Lärmpegels auf Lernprozesse kann z.B. anhand der Laborstudien von SCHICK et.al. (2003)[4] abgeschätzt werden.

Auswirkungen auf die Geräuschsituation in einer Lern- oder Arbeitsgruppe wurden sehr deutlich durch Befunde aus den an dieser Studie beteiligten Grundschulen, de-ren Kollegien mit Verhaltensproblemen sehr unterschiedlich umgehen (Abb. 2).

Abb. 2: Mittlere Schallpegel in allen beobachteten Unterrichtsstunden in den an der Untersuchung beteiligten Schulen. Medianwerte (Kreise), 10. Perzentile (Bal-ken nach unten) und 90. Perzentile (Balken nach oben). Die Schulen I, II, III und V sind Grunds
Abb. 2: Mittlere Schallpegel in allen beobachteten Unterrichtsstunden in den an der Untersuchung beteiligten Schulen. Medianwerte (Kreise), 10. Perzentile (Bal-ken nach unten) und 90. Perzentile (Balken nach oben). Die Schulen I, II, III und V sind Grunds

Hier stehen die „leisen“ Schulen (III und V) mit einem Schwerpunkt im „Lernen von Sozialverhalten“ vom ersten Schultag an den „lauten“ Schulen (I und II) gegenüber, bei denen es kein einheitlich praktiziertes Konzept für die Verhaltenslenkung (ein-schließlich des „geräuschvollen“ Verhaltens) gibt. Durch die begrenzte Anzahl der beobachteten Klassen bleibt die Aussage exemplarisch.

 

Die im Rahmen der Studie durchgeführten bautechnischen und „pädagogischen“ In-terventionsmaßnahmen zeigen die Auswirkungen sowohl der Raumakustik auf das Verhalten als auch die Bedeutung von verändertem Verhalten für die Geräuschsituation im Unterricht.

 

 

2. Verbesserung der Raumakustik

 

Die durchgeführten Sanierungsmaßnahmen der Raumakustik in drei Klassenräumen belegen die Wirkung der Verbesserung von Nachhallzeit und Sprachverständlichkeit in mehrfacher Hinsicht. Die vor der Sanierung gemessenen Nachhallzeiten in diesen Räumen erfüllten nicht einmal die Forderungen der alten DIN 18041[5], im sanierten Zustand dagegen entsprechen sie sogar den Bedingungen für integrative Beschu-lung von Kindern mit Hörstörungen (Abb. 3).

Abb. 3: Nachhallzeiten vor und nach Sanierung Klasse C
Abb. 3: Nachhallzeiten vor und nach Sanierung Klasse C

Als Folge davon wird die Sprachverständlichkeit in Form des berechneten STI nach der Sanierung in allen drei Räumen als „sehr gut“ bewertet im Gegensatz zu "befrie-digend" vorher.

 

Die Verbesserung der Schallabsorption im Klassenraum bedeutet physikalisch eine Reduzierung des Schallpegels um maximal 3 dB(A), die tatsächlich gemessene Re-duzierung um 6 bis 8 dB(A) ist auf die Wechselwirkung zwischen Verbesserung der Sprachverständlichkeit und dem daraus resultierenden Sozialverhalten der Schüler zurückzuführen. „Wenn alles leiser ist, brauche ich auch nicht mehr so laut zu reden“, so die Aussage von Schülern. Diese Wahrnehmung wird durch die Aussage einer Lehrerin noch bestätigt, die nach dem Umzug in die sanierte Klasse sagte: „Ich habe das Gefühl vor einer neuen Klasse zu stehen“. Gemeint ist nicht der Klassenraum, sondern die Schülerschaft.

 

Welche Bedeutung eine gute Raumakustik auf die Geräuschsituation im Unterricht hat, machen die Sanierungsbeispiele deutlich. In der „lauten“ Schule kommt es zu einer deutlichen Reduzierung des mittleren Schallpegels im Unterricht von ca. 6 dB(A), in der „leisen“ Schule dagegen nur ca. 3 dB(A), (Abb. 4). In beiden Schulen sinkt aber der Grundgeräuschpegel um ca. 6 dB(A), der so zu einer deutlichen Ver-besserung des Signal-Stör-Abstandes beiträgt.

Abb. 4: Unterrichtsschallpegel vor und nach Sanierung in Klasse C, Medianwerte, 10. (Balken nach unten) und 90. Perzentil (Balken nach oben)
Abb. 4: Unterrichtsschallpegel vor und nach Sanierung in Klasse C, Medianwerte, 10. (Balken nach unten) und 90. Perzentil (Balken nach oben)

3. Pädagogische Intervention zur Lärmminderung

 

Die Hintergrundgeräuschpegel lagen in fast allen Unterrichtsstunden deutlich bis sehr deutlich über den Werten von 30 – 40 dB(A), die für informatorisch mentale Ar-beitsleistung z.B. in Klassenräumen als empfohlene Höchstwerte genannt werden (DIN EN ISO 11690 Teil1, DIN 18041)[6]. Wobei auch hier „je leiser desto besser“ gilt. Da Unterricht für Schüler und ihre Lehrkräfte vom Anspruch her als kognitive Leis-tung von hoher Schwierigkeit einzustufen ist, müssen die von uns gemessenen Lärmpegel im Unterricht als in aller Regel zu hoch bezeichnet werden! Im einzelnen wurden deutliche Unterschiede zwischen Unterrichtsstunden, zwischen Schulen und nicht zuletzt sogar zwischen einzelnen Schulen mit ähnlicher Raumakustik gemes-sen.

 

3.1. Pädagogische Konzepte der Lärmminderung

 

Ein gewisser Modellcharakter kommt der als „leise“ apostrophierten Grundschule III zu. Das dortige pädagogisch sehr rege und engagierte Kollegium hat unter Mitarbeit des Rektors auf eine erweiterte Aufgabestellung (Integration von Sonderschülern; Aufnahme fremdsprachiger und fremdkultureller Schüler) schon vor Jahren voraus-schauend ein systematisches Verhaltenstraining mit Schulanfängerinnen und

Abb. 5: Unterrichtsschallpegelwerte in vier 4. Klassen aus 3 Grundschulen.  Medianwerte, 10. (Balken nach unten) und 90. Perzentil (Balken nach oben)
Abb. 5: Unterrichtsschallpegelwerte in vier 4. Klassen aus 3 Grundschulen. Medianwerte, 10. (Balken nach unten) und 90. Perzentil (Balken nach oben)

Schulanfängern entwickelt und eingeführt. Das Konzept arbeitet mit visuellen und akustischen Signalen sowie steuernden Verhaltensritualen, die mit den Schülerinnen und Schülern eingeübt und von allen Kolleginnen und Kollegen angewandt und durchgehaltenen werden. Ein wesentlicher Teil dieser zum Schuleintritt eingeführten und immer wieder nachgeübten Regeln hat Lärmminderung bzw. Lärmvermeidung zum Gegenstand. Die Unterschiede sind in Abb. 5 dargestellt am Beispiel der Klas-senstufe 4.

 

Gleiches gilt für eine Grundschule in einem benachbarten Bundesland (Schule V), in der trotz ungünstiger raumakustischer Bedingungen in der einzigen beobachteten Klasse ein auffallend niedriger Geräuschpegel gemessen wurde. Unterrichtsbeo-bachtung und Nachfragen ergaben, dass in dieser Klasse ebenfalls ein systemati-sches Training lärmvermeidender Verhaltensweisen im Unterricht praktiziert wurde. In dieser Klasse lag der Lärmpegel so niedrig, dass im Stillen befürchtet wurde, die allein aufgrund der raumakustischen Bedingungen veranlasste schalltechnische Sa-nierung würde keine oder kaum noch eine relevante Veränderung der Geräuschsitu-ation im Unterricht bewirken können. Diese Erwartung wurde widerlegt; selbst unter diesen Voraussetzungen trat durch die Sanierung eine deutlich erkennbare Verbes-serung nicht nur der raumakustischen Daten, sondern auch des Unterrichtsschallpe-gels ein.

 

 

3.2. Lärmminderung durch Aufklärung und optische Geräuschpegelanzeige

 

Ein weiterer Versuch der „pädagogischen“ Einflussnahme auf die Geräuschsituation im Unterricht wurde in zwei Klassen der 2. und 4. Jahrgangsstufe in der Grundschule II unternommen: Diese Schule fällt durch relativ hohe Geräuschpegel auf; hier wurde von einer externen Versuchleiterin in einer je fünfstündigen Unterrichtseinheit das Thema „Ohr und Hören“ behandelt. Es wurden Regeln zur Lärmvermeidung verabre-det und geübt; dazu gehörte auch die angemessene Reaktion auf die Anzeige des Schallpegels durch das als Signalgeber eingeführte SoundEar (das Gerät arbeitet nach dem Ampelprinzip mit den Signalfarben grün, gelb und rot, die in Abhängigkeit vom Schallpegel im Klassenraum umgeschaltet werden; die Umschaltschwellen kön-nen frei gewählt werden). Am Ende jeder Stunde gab es eine Belohnung, wenn das angestrebte und vereinbarte Verhalten eingehalten wurde. Vor und nach diesem Un-terrichtsversuch wurde über je eine Woche in beiden Klassen der Unterricht beo-bachtet und während des Unterrichts der Schallpegel fortlaufend aufgezeichnet. Das Verfahren war mit den Klassenlehrerinnen abgestimmt.

 

Abb. 6:  Unterrichtsschallpegel (Durchschnitts-, Minimal- und Spitzenwerte) vor   und nach Durchführung des Interventionsprojektes. Median, 10. (Balken   nach unten) und 90. Perzentil. Klasse E (4. Jahrgang)
Abb. 6: Unterrichtsschallpegel (Durchschnitts-, Minimal- und Spitzenwerte) vor und nach Durchführung des Interventionsprojektes. Median, 10. (Balken nach unten) und 90. Perzentil. Klasse E (4. Jahrgang)

Auch dieser Interventionsversuch hatte eine lärmmindernde Wirkung (Abb. 6), die al-lerdings in einer der beiden Klassen sehr gering ausfiel. Das wurde auf den geringen zeitlichen Umfang der Maßnahme, auf ihr spätes Einsetzen Jahre nach dem Schul-beginn und auf die Tatsache zurückgeführt, dass die Kooperation der jeweiligen Klassenlehrerin, nicht aber die Kooperation des ganzen Kollegiums sichergestellt war.

 

4. Bedeutung der Interventionsmaßnahmen

 

Vier verschiedene Maßnahmen zur Lärmminderung wurden mit den im Projekt ver-wendeten Methoden (kontinuierliche Schallpegelaufzeichnung; Unterrichtsbeobach-tung) über je eine Woche vor und nach ihrer Durchführung begleitet:

 

  • akustische Sanierung zweier Klassenräume
  • langfristige pädagogische Intervention zur Lärmminderung
  • langfristige pädagogische Intervention plus Raumsanierung
  • Aufklärung, Regeleinübung, optische Signalgebung durch das SoundEar.

 

Für alle vier Maßnahmen waren Lärmminderungseffekte in unterschiedlichem Aus-maß nachzuweisen; das ist verständlich, da alle Maßnahmen an unterschiedlichen Stellen im Prozess der Lärmentstehung und seiner Ausbreitung angreifen.

 

Der wichtigste „Geräuscherzeuger“ in Bildungseinrichtungen ist die menschliche Stimme. Wenn erreicht werden kann, dass im Unterricht nur das gesprochen wird, was für den Unterricht und für seine (auch die sozialen) Begleitprozesse notwendig ist, wenn weiter erreicht wird, dass das, was gesagt werden muss, leise gesagt wird, dann nehmen Unterrichtsgeräusche an Häufigkeit und Intensität ab; es wird leiser. Hier setzen die pädagogischen (besser: sozialpädagogischen) Konzepte der beiden „leisen“ Grundschulen an: Schülerinnen und Schüler lernen, nur bei Bedarf und dann leise zu sprechen; Lehrerinnen und Lehrer reagieren darauf, weil sie so auch leiser sprechen können. In beiden Schulen wird es leiser: Die Geräuschminderung findet bereits in der Phase der Geräuschentstehung statt. Sie wirkt sich aus, auch wenn die raumakustischen Bedingungen nicht optimal sind.

 

Die hauptsächlich durch Sprechen produzierten Geräusche dauern eigentlich immer nur wenige Sekunden, länger erhalten bleiben sie, wenn ihr „Nachhall“ über das not-wendige Maß andauert, weil sie nicht absorbiert („geschluckt“), sondern von den Flä-chen und der Decke im Raum reflektiert werden: Was gesprochen wird, trifft auf die Reste dessen, was von dem zuvor Gesprochenen noch im Raum ist. Als Reaktion wird ein bisschen lauter gesprochen, und dann noch lauter... So entsteht in einem „halligen“ Raum mit längerer Nachhallzeit ein höherer Schallpegel als in einem schallgedämpften Raum mit deutlich kürzerer Nachhallzeit. An dieser Stelle greift die „raumakustische Sanierung“ ein; sie verhindert, dass Spuren der bereits entstande-nen Geräusche übermäßig lange erhalten bleiben und sich dann in der beschriebe-nen Weise „aufschaukeln“: ein „Nachschieben“ der Sprechlautstärke wird überflüssig. Dieser Effekt konnte in der Schule V direkt beobachtet werden: Während des Unter-richts war auf dem Flur aus allen Klassen deutlich das Unterrichtsgeschehen zu ver-folgen, nur aus dem sanierten Klassenraum war nichts von dem laufenden Unterricht zu hören.

 

Wenn beide Maßnahmen aufeinander treffen, ist mit einer Verstärkung der Einzelef-fekte zu rechnen. Das bestätigte sich in Schule V, die von vornherein zu den „leisen“ Grundschulen gerechnet wurde und in der nach der Sanierung des betroffenen Klas-senraums der Geräuschpegel im Unterricht noch einmal verringert werden konnte. Unter dem „unterrichtsakustischen“ Aspekt würde man also sicherlich empfehlen müssen, beide Maßnahmen simultan anzuwenden. Denn ob die Schülerinnen und Schüler gelernt haben, leise zu sein oder nicht: Der Anstrengung durch lautes Spre-chen und dem Problem der begrenzten Sprachverständlichkeit entkommen erwach-sene wie auch jüngere Nutzer von Bildungseinrichtungen und die dort Beschäftigten nur durch eine optimale Raumakustik. Bessere Unterrichtsakustik trägt dazu bei, Fehler und Defizite im Lehr-Lern-Prozess zu vermeiden. Sie ermöglicht

  • bessere Informationsübermittlung
  • geringere Störung kognitiver Prozesse
  • geringere Stimmbelastung der Lehrenden
  • reduzierte Ermüdung
  • verbesserte Aufmerksamkeit.

 

Die auch hieraus ableitbare Forderung muss sein, die Raumakustik bereits in die Planung von Räumen für Bildungseinrichtungen mit einzubinden. Geschieht dies von Anfang an, entstehen praktisch keine Mehrkosten für eine akustisch optimale Lern-umgebung; ähnlich sind die Verhältnisse bei allgemeinen Bausanierungen, höhere Kosten entstehen vor allem bei nachträglichem Einbau von Absorptionsflächen.

 

Die Verhaltensdispositionen, die Schüler in Schule und Unterricht einbringen, stellt eine weitere Variable in dem Prozess der Erzeugung von Lärm dar. Das lässt schon die Tatsache vermuten, dass jüngere Schülerinnen und Schüler mehr, ältere weniger Lärm produzieren. Obwohl nicht im einzelnen erfasst, fallen doch einige Charakteris-tika verschiedener Schulen ins Auge. Die trotz ungünstiger Raumakustik „leise“ Schule V liegt in einem gutbürgerlich/akademisch geprägten Stadtteil einer westfäli-schen Kleinstadt. Der Standort der „leisen“ Schule III in Bremen ist zwar durchaus als sozial schwierig (sog. „Brennpunktschule“) zu bezeichnen, es bestehen jedoch in der Zusammensetzung der Schülerschaft wahrnehmbare Unterschiede zur „lauteren“ Schule II mit baulich und raumakustisch ganz ähnlichen Voraussetzungen. Die Messbarkeit von Schallpegeln erlaubt es zwar, laut und leise eindeutig zu benennen, doch hängt dieses Merkmal nicht nur von raumakustischen Parametern und von dem sozialpädagogischen Geschick von Lehrerinnen und Lehrern ab: Wenn Schülerinnen und Schüler aus sehr unterschiedlichen (auch unterschiedlich geräuschvoll in Er-scheinung tretenden) Ethnien, Kulturen und Sprachgebieten stammen, wenn sie eth-nisch definierte Gruppen bilden, die untereinander in Konkurrenz und Streit liegen, dann dürfte es schwierig sein, sie für Lärm zu interessieren und für ein lärmmindern-des Verhalten zu motivieren. Es kann sein, dass Lehrkräfte dann hauptsächlich vor allem Disziplinierungsleistungen zu erbringen haben; das sollte unter solchen Um¬ständen nicht unterschätzt werden.

 

5. Lärm und Belastung von Lehrerinnen und Lehrern

 

Unterricht ist eine gemeinsame Arbeitssituation von Lernenden und Lehrkräften. Ho-her Grundschallpegel verlangt von den Lehrkräften mindestens eine angehobene Stimmstärke bis hin zum Schreien. Dabei geht es dann auch, aber nicht nur, um Stimmbandreizungen bei Lehrkräften: Höhere Schallpegel im Unterricht signalisieren auch gestörte Kommunikation, erfordern Reaktionen zur Korrektur (Disziplinierung), lenken die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zielen des Unterrichts ab.

 

Unverhältnismäßiger und vermeidbarer Umgebungsschall ist ein Stressor. Dieser Sachverhalt kann durch objektive Messung, aber auch durch verbale Aussagen auf der Grundlage subjektiver Wahrnehmung belegt werden. Wie sich dieser Stressor auswirkt, hängt von den physikalischen Eigenschaften des Schalls (Intensität, Fre-quenz u.a.), von den situativen Bedingungen ab, unter denen er auftritt, und von der Lärmempfindlichkeit der urteilenden Personen. Hat er eine ausreichend hohe und andauernde Intensität (Beurteilungspegel von 80 dB(A) und darüber), ist das Risiko für eine Hörschädigung nachgewiesen. Doch auch bei geringer Intensität werden auf physiologischer Ebene typische Stressreaktionen nachgewiesen, z.B. Reaktionen des Herz-Kreislauf-Systems oder des Hormonsystems.

 

Schwieriger einzuordnen ist der „Lärm mittlerer Intensität“, wie er für Bildungsinstitu-tionen charakteristisch ist. Eine unmittelbare Auswirkung z.B. auf Organsysteme kann in der Regel ausgeschlossen werden, dieser Lärm wirkt eher über psychische Prozesse auf Menschen ein: Er wird wahrgenommen, stört die Aufnahme und Verar-beitung „wichtigerer“, d.h. für Menschen bedeutsamer Schallereignisse, deren Verständnis er behindert (oder unmöglich macht). Er belästigt, belastet die Prozesse der Aufmerksamkeits-Steuerung, erschwert die Konzentration und kann Entspannung und Schlaf verhindern. Menschen, die solchen Lärm in Situationen erleben, die Kon-zentration und Aufmerksamkeit erfordern, fühlen sich Anforderungen, die unter ande-ren Bedingungen zu bewältigen wären, nicht mehr gewachsen. Sie reagieren irritiert, verärgert, gereizt. Die „Stresshormone“ (Adrenalin und Noradrenalin, Cortisol) werden verstärkt produziert; Blutdruck und Herzschlagfrequenz steigen an, das Erre-gungsniveau des Organismus nimmt zu. Anforderungen zu erfüllen wird schwerer und anstrengender, Ermüdungsprozesse verschärfen das Problem.

 

Dennoch wäre es schwierig oder unmöglich, eine „krankmachende“ Wirkung des „Lärms mittlerer Intensität“ nachzuweisen, wenn man diesen Stressor allein betrachtet. Wenn man aber berücksichtigt, dass in Bildungseinrichtungen viele andere belas-tende Faktoren gleichzeitig wirksam sind (Verhaltensauffälligkeiten, Lernstörungen, fehlendes Verantwortungsgefühl, Probleme der Arbeits- und Anstrengungsbereitschaft und vieles mehr), dann trägt das Phänomen „Lärm“ gemeinsam mit solchen Ursachen zur Belastung und Beanspruchung von Lehrkräften bei, ist mitverantwort-lich dafür, dass Bildungseinrichtungen ihren Auftrag nicht so erfüllen können, wie er-wartet werden darf. Vorzeitiger Verschleiß, u.a. durch den Burnout-Prozess, der mit Aufgabe des Berufs enden kann, findet u.a. in hoher Lärmexposition eine Erklärung.

 

Lärm als einer unter zahlreichen Belastungsfaktoren spielt insofern eine besondere Rolle, als er von auffällig vielen Lehrerinnen und Lehrern als Belastungsfaktor benannt wird und zugleich Verfahren bekannt sind, mit denen er erfolgreich bekämpft werden kann. Die „pädagogische“ Lärmbekämpfung ist darüber hinaus kostenlos und würde es nicht nur Lehrerinnen und Lehrern erleichtern, sich auf die wichtigeren As-pekte ihres Auftrages zu konzentrieren, sondern auch für Schülerinnen und Schüler bessere Lernbedingungen schaffen. Hohe Schallpegel sind in Bildungseinrichtungen im Übermaß vorhanden, und sie sind vermeidbar, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat. Dass erfolgreiche Sanierung der raumakustischen Situation und deren Auswirkung auf das Schülerverhalten wahrgenommen wird, belegen Kommentare von Lehrerinnen und Lehrern, die „am liebsten nur noch in den sanierten Klassen un-terrichten“ würden und die – mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler – „das Gefühl haben, vor einer neuen Klasse zu stehen“.

 

6. Einrichtungen der Erwachsenenbildung

 

Wenn von Einrichtungen der Erwachsenenbildung die Rede ist, dann bezieht sich das meist auf Volkshochschulen, Akademien, Fachhochschulen, Universitäten, Ein-richtungen der politischen oder beruflichen Fort- und Weiterbildung u.s.w. Vieles haben derartige Einrichtungen mit Schulen gemeinsam: Es gibt Lehrkräfte (Professoren, Dozenten, Trainer, Lehrmeister oder einfach: qualifizierte Fachleute), die auf dem Gebiet, auf dem die Einrichtung tätig ist, besondere Fähigkeiten haben, und es gibt Lernende (Studierende, Schüler, Auszubildende u.s.w.), die auf diesem Gebiet Qualifikationen erwerben wollen.

 

Auch in solchen Einrichtungen spielt Sprechen und Verstehen von Sprache als Medium des Lehr-Lern-Prozesses eine zentrale Rolle. Insofern sind dort die Ansprüche an die ergonomischen (und darunter auch die akustischen) Merkmale der Lehr-Lern-Umgebung ähnlich wie in Schulen. Wahrscheinlich sind die Anforderungen an Nach-hallzeiten und Sprachverständlichkeit etwas weniger streng auszulegen, weil das er-wachsene Gehirn über zahlreiche Routinen zur Ergänzung sprachlicher Verständnis-lücken verfügt; weil Erwachsene eigene Defizite in Lernprozessen kennen und gelernt haben damit umzugehen, weil sie über Erfahrungen in Herstellung von Konzentration und Aufmerksamkeit verfügen.

 

Die Lernschritte in der Schule sind vor allem im jüngeren Alter aus der Sicht von Er-wachsenen scheinbar kleiner und elementarer, aber für Kinder kommen sie oft an die Grenze der Verständnis- und Leistungsfähigkeit heran und überschreiten sie gelegentlich. Gemessen am „kognitiven Entwicklungsalter“ sind die kognitiven Anforderungen an Schulkinder und auch noch an Jugendliche in ihren altersentsprechenden Schulstufen sehr hoch, oft extrem hoch. Unter diesen Umständen müssen auch die Anforderungen an die Lernbedingungen sehr hoch sein: Erwachsene können auch improvisieren, Kinder und Jugendliche um so weniger, je jünger sie sind. Und: In Schulen (mit der herkömmlichen Konzeption) werden die Gegenstände des Lernens vorgeschrieben, nicht frei gewählt. Kinder und Jugendliche sind zum Lernen zwar intrinsisch motiviert durch Neugier, durch emotional und intellektuell erwecktes Interes-se; sie werden real aber extrinsisch motiviert durch Druck und Zwang, durch Belohnung und durch das Versprechen von Belohnung.

 

Erwachsene befinden sich in institutionalisierten Bildungsprozessen in einer grund-sätzlich anderen Situation als Kinder und Jugendliche: Oft haben sie sich den Gegenstand (das Thema, das Ziel) eines Bildungsprozesses aus vielen Alternativen selbst gewählt. Sie sind häufiger intrinsisch motiviert durch ihre Lebensplanung, durch Ziele, die sie mit einem erfolgreichen Bildungsschritt anstreben, und durch Einsicht, die sie sich in den Zusammenhang zwischen Bildungsprozessen und Lebenskompetenz verschafft haben. Dies gilt in idealer Weise jedoch nur in einer „heilen“ Welt, in der Menschen die Wahl aus einem großen Angebot alternativer Möglichkeiten haben und setzt Kreativität, Anstrengungsbereitschaft, Verantwortungsgefühl und Kooperationsfähigkeit voraus, die auch manchen Erwachsenen fehlen.

 

In beiden Fällen ist Lärm ein typischer Faktor, der Lernprozesse behindern kann. Viele Erwachsene wissen das und versuchen, sich in Lernsituationen eine lärmfreie Umgebung zu schaffen. Kinder müssen diesen Zusammenhang erst erkennen, und da sie es (als Gruppe) oft selbst sind, die den Lärm aus den angesprochenen Gründen erzeugen, müssen sie ebenfalls lernen, sich geräuscharm zu verhalten. Wenn dieser Prozess nicht von Erwachsenen stimuliert und eingeleitet wird, kann er viele Jahre dauern, Jahre des weniger effektiven Lernens. Selbst viele Studierende im jüngeren Erwachsenenalter scheinen noch verstehen zu müssen, dass die Dozentin oder der Dozent erst sprechen kann, wenn sie selbst zu sprechen aufhören.

 

Man könnte die ergonomischen Probleme bei „informatorischen“ oder „geistigen“ Arbeitstätigkeiten, in Prozessen der Bildung und Ausbildung auch an anderen Beispielen als am Problem des Lärms darstellen. Über den Lärm in Bildungseinrichtungen wird vielfach und in unserer immer lauter werdenden Welt zunehmend geklagt. Über miserables Schulgestühl (im Vergleich zu den ergonomisch optimierten, vielfach verstellbaren, gasdruckgefederten Arbeitsstühlen an Schreibtisch- und Computer-Arbeitsplätzen für Erwachsene), über kaum belüftbare Klassenräume im Vergleich zu optimal klimatisierten Büros wird wesentlich weniger geredet oder geschrieben. Die Ergonomie von Bildungseinrichtungen, die im 19. Jahrhundert [7] unter dem Begriff „Schulhygiene“ ein wichtiges, wissenschaftlich bearbeitetes Thema war, ist mit vielen anderen ihrer nach wie vor gültigen Ergebnisse und Erkenntnisse in Vergessenheit geraten.

 

Literatur:

 

  1. Schönwälder, H.-G., J. Berndt, F. Ströver, G. Tiesler: Belastung und Beanspruchung von Lehrerin-nen und Lehrern, Schriftenreihe der BAuA, Fb 989, NW-Verlag Bremerhaven, 2003
  2. Schönwälder, H.-G., J. Berndt, F. Ströver, G. Tiesler: Lärm in Bildungsstätten – Ursachen und Min-derung, Schriftenreihe der BAuA, Fb xxx, NW-Verlag Bremerhaven, 2004
  3. Sust, Ch. und H. Lazarus: Auswirkungen von Geräuschen mittlerer Intensität in Schule, Aus- und Weiterbildung (Hrsg.): Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse 103. Dortmund: NW-Verlag 1997
  4. Schick, A., M. Klatte, M. Meis, Chr. Nocke (Hrsg.): Hören in Schulen. Ergebnisse des 9. Oldenburger Symposiums zur psychologischen Akustik, Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Uni-versität Oldenburg, 2003
  5. DIN 18041: Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen, Neufassung, Vorabdruck einiger quanti-tativer Angaben; Fa. Saint Gobain/Ecophon 2004
  6. DIN EN ISO 11690, Teil 1: Akustik – Richtlinien für die Gestaltung lärmarmer maschinenbestückter Arbeitsstätten; Teil 1: Allgemeine Grundlagen; Berlin, Beuth Verlag, 1997
  7. Burgerstein, L. und A. Netolitzky: Handbuch der Schulhygiene, 2. Aufl., Verlag Gustav Fischer, Jena, 1902